Das Unicorn ist wieder unterwegs! In den kommenden 6 Wochen möchten wir die iberische Halbinsel umrunden. Zuerst quer durch Frankreich nach Bordeaux, dann über Bilbao und Santiago de Compostela an die spanische Atlantikküste. Alsdann in Richtung Süden über Porto, Lissabon nach Gibraltar. Und anschliessend den Weg zurück entlang der spanischen Mittelmeerküste hoch über Murcia, Valencia und Barcelona. Von dort ist es dann nur noch ein “Katzensprung” über die Camargue, Avignon, Grenoble zurück in die Schweiz.

Soweit der Plan. Beeinflusst wird dieser durch das Wetter, die Sehenswürdigkeiten und unsere Launen. Sollten wir es nicht schaffen, nehmen wir den Rest ein anderes Mal in Angriff. Denn es gibt auf dieser Reise bestimmt wieder vieles zu entdecken und zu erforschen. So auch auf unserem ersten Stellplatz in Excenevex, ein kleines Dorf an der französischen Genfersee-Küste.

Unser Unicorn auf dem ersten von vielen Stellplätzen dieser Reise.

Nachdem Bea uns sicher an unser Tagesziel gebracht hatte, wollten wir bei einem Abendspaziergang noch etwas frische See-Luft schnuppern. Dabei stiessen wir etwas abseits der Strasse auf ein sichtlich verlassenes Gebäude, welches aber mit einer goldgeschmückten Eingangsfront unser Interesse weckte. Batteur d’Or – zu Deutsch Goldschläger – stand mit güldenen Lettern über dem Eingangstor. Und auch das Mosaik links und rechts des Eingangs schienen vergoldet.

Vergoldetes Wandmosaik am Eingangstor.

Rasch haben wir ein paar Bilder geschossen und uns weiter zum Strand aufgemacht. Trotz strahlender Sonne und stahlblauem Himmel war es beissend kalt. Darum sehen unsere Fotos vom Bootssteg auch eher nach Skiurlaub aus…

Skiurlaub-Feeling am Strand.
Das nenne ich doch eine schlanke Silhouette 🙂

Aber das Gebäude liess mir keine Ruhe. Warum diese auffällige Fassade? Und dann doch ein verlassener «Lost Place»? Nach unserer Rückkehr zum Unicorn machte ich mich an die Recherche – schliesslich durfte ich die ganze Fahrt auf dem Beifahrersitz geniessen. Da konnte ich auch noch ein, zwei Stunden «arbeiten».

Und was ich herausfand ist der Knüller. Einst ein weltberühmter Blattgoldlieferant, welcher zum Beispiel die Fackel der New Yorker Freiheitsstatue vergoldete, ging das Unternehmen 2018 Konkurs und schloss nach 184 Jahren die Türen seiner Werkstatt in Excenevex. Aber der Reihe nach…

Eine der berühmteren Kundinnen von Excenevex – die Lady Liberty von New York.

Blattgold gab es schon immer, im alten Ägypten der ersten Pharaonen ebenso wie im Indien Buddhas (6. Jh. v. Chr.). Dieses edle Material hat sich im Laufe der Jahrhunderte immer wieder für die Verzierung von Sarkophagen, Manuskripten, Möbeln, Porzellan usw. durchgesetzt.

Auch das Haus Dauvet hat seine Geschichte, das seit 1834 dieses mehrere tausend Jahre alte Know-how weiterführt. Das Unternehmen war der letzte französische Goldschlägerbetrieb und hatte seinen Sitz in Excenevex, einer Gemeinde in Hochsavoyen (F) am Genfer See.

Die Geschichte der Dauvets beginnt im Paris des 19. Jahrhunderts. Man lernt den Beruf von der Pike auf, bildet sich im Kontakt mit Fachleuten weiter oder vererbt das Know-how wie ein Erbe vom Vater an den Sohn. Und obwohl die Familie das ganze Jahr über mit grossem Erfolg in der Stadt der Liebe arbeitet, geniesst sie es, zur Sommerfrische in Excenevex Quartier zu beziehen. Im Jahr 1936 beschloss Georges Dauvet, der zur dritten Generation der Goldschläger gehörte, sich dort dauerhaft niederzulassen.

Leider bricht der Krieg aus, nachdem die Werkstätten und die besten Arbeiter aus Paris eingezogen sind. Die Arbeitskräfte gehen zurück nach Paris, die Aufträge sinken… Bei der Befreiung muss alles wieder aufgebaut werden. Jacques Dauvet, der Sohn von Georges, übernahm 1946 den Betrieb und wollte die Aufträge wieder ankurbeln. Die Aufgabe ist hart, aber er erzielt Erfolge.

Der Invalidendom in Paris. (Foto: Daniel Vorndran)

Im Jahr 2008 war das Haus Dauvet die einzige französische Fabrik für Blattgold, die überlebt hatte. Fünf Generationen sind aufeinander gefolgt, um Spitzenleistungen zu erzielen. Eine Exzellenz, die weltweit anerkannt ist und der wir unter anderem die Kuppel des Invalidendoms in Paris, die Flamme der Freiheitsstatue in New York oder die Kuppeln der russisch-orthodoxen Kathedrale in Genf zu verdanken haben.

In Europa gibt es noch einige Goldschläger – 7 in Deutschland, 3 in Italien, 1 in England und 1 in Frankreich -, aber der Markt ist dennoch nicht mehr das, was er einmal war. Die Zeiten haben sich in zweifacher Hinsicht geändert. Einerseits haben «grosse» Verbraucherländer wie die Emirate ihre Käufe seit dem Jahr 2000 gebremst. Gleichzeitig ist China in den Markt eingestiegen und hat viele Märkte erobert, obwohl sein Gold von geringerer Qualität ist als das in Europa produzierte. Andererseits werden Vergoldungen in der Dekoration immer seltener verwendet, da neue Materialien «zeitgemäßer» sind. In der Parfümeriebranche wurde das Goldnetz, das früher den Rand der Parfümdosen schmückte, durch vergoldetes Aluminium ersetzt. Dasselbe gilt für Porzellan: Lange Zeit wurden die Dekorationen mit Blättern hergestellt. Heute wird es von der Malerei verdrängt. So geht die Geschichte weiter.

Lady Liberty mit der vergoldeten Fackel. (Foto: William Warby)

Das Haus Dauvet verkauft nun sein Blattgold hauptsächlich an Vergolder, seien es Handwerker, die Einrahmungen herstellen, oder Künstler, die Denkmäler restaurieren. Einige Gebäude sind weltberühmt, wie die Kuppel des Invalidendoms in Paris, die mit 23,5 Karat legiert ist, andere sind eher regional, wie der Hahn, der auf dem prächtigen Kirchturm von Yvoire (F) thront. Auch der Lebensmittelbereich macht einen grossen Teil der Verkäufe des Hauses aus. Als der erste Chocolatier in den 1970er Jahren Gold verlangte, um den Glanz seiner berühmten Kompositionen zu verstärken, leistete er Pionierarbeit und war originell. Rund dreissig Jahre später gibt es unzählige Süsswaren und Gerichte, die mit Gold verziert werden, um ihnen einen Hauch von ultimativer Eleganz zu verleihen.

Es folgten weitere Nischenmärkte, darunter Mosaikkünstler, Glasbläser, Buchbinder, Maler und andere. Nicht zu vergessen die Bestattungskunst, die immerhin 7 % des Umsatzes ausmacht.

2011 erwähnte Bernard Dauvet, der derzeit das Sagen hatte in einem Zeitungsinterview, dass seine Söhne die Fackel weitertragen werden und dass die Familiengeschichte noch lange nicht zu Ende ist.

Eingangsportal des letzten französischen Goldschlägers.

Dann ging es sehr schnell. Im September 2018 verkündete das Handelsgericht in Chambéry die gerichtliche Liquidation des Hauses Dauvet. Das Unternehmen konnte die Mehrwertsteuer nicht mehr bezahlen und schloss am 10. Oktober 2018 um 17 Uhr die Tore. Dieses weltweit anerkannte Know-how verschwand und heute erinnern nur noch das vergoldete Eingangportal an 184 Jahre Familiengeschichte.

Wer mehr zum Beruf des Goldschlägers wissen möchte, findet unter diesem Link eine gute Zusammenfassung.